Wie viel Sauerstoff braucht ein Mensch, wenn er gemütlich im Sessel sitzt? So ungefähr 200 cm³ pro Minute.
Und wie viel braucht er, wenn er, sagen wir einmal, im Garten mit Inbrunst Holz hackt? Ungefähr 2000 cm³ pro Minute.
Um diese Menge in die Lunge zu kriegen, muss man natürlich ordentlich schnaufen. Was hat das jetzt mit dem Fliegen zu tun, wird sich mancher fragen. Warten wir es ab.
Der eine oder andere Pilot wird sich wohl schon einmal Gedanken darüber gemacht haben, wie das mit dem Sauerstoff ist, wenn man in größeren Höhen fliegt. Nun kommen wir mit unseren Saugmotoren kaum in Höhen, wo sich diese Frage stellt. Eher schon mit aufgeladenen Motoren, den Turbos. 20.000 ft sind da schon drin und wenn wir in den Ausrüstungsvorschriften nachschauen, ist bei einem Aufenthalt von mehr als 30 Minuten zwischen 12.000 ft und 13.000 ft eine Sauerstoffanlage vorgeschrieben. Ab 13.000 ft generell. Wer sich das Vergnügen gegönnt hat, z. B. die Zugspitze zu umrunden und die C172 mit 160 Saug-PS einen guten Tag gehabt hatte, der hat sicherlich schon an dieser Grenze gekratzt und keinerlei Beschwerden verspürt.
Da muss man sich doch fragen, ist die Luft da oben wirklich schon so dünn, dass man zusätzlichen Sauerstoff braucht?
Graben wir einige Grundkenntnisse in Meteorologie aus: Der Luftdruck auf Meeresniveau beträgt i.A. um die 1000 hPa. Nach der Faustformel sinkt der Luftdruck pro 30 ft um etwa 1 hPa. Das macht bei 12.000 ft Flughöhe 400 hPa weniger, also 600 hPa. Etwas genauer herrscht in dieser Höhe ein Luftdruck von 650 hPa, in 18.000 ft gerade noch 500 hPa, oder anders gesagt, die Hälfte wie auf Meeresniveau.
Forschen wir weiter in unseren Erinnerungen, wissen wir sicher auch noch, dass der Sauerstoffanteil an der Luft – unabhängig von der Höhe – immer gleichbleibend 21% beträgt. So gesehen, haben wir doch noch immer die Hälfte des Sauerstoffs wie auf Meeresniveau zur Verfügung.
Wenn wir uns jetzt wieder an unseren Holzhacker erinnern, stellen wir fest, dass der in der Lage war, locker das 10-fache der in Ruhe benötigten Menge – gewiss mit tieferen Atemzügen und schnellerer Atemfrequenz – durch die Lungen zu ziehen. Da müsste es doch ein leichtes sein, wenn in 18.000 ft immer noch die Hälfte der üblichen Sauerstoffmenge zur Verfügung steht, dies durch tiefes und schnelleres Atmen zu kompensieren. So ein bisschen stimmt das auch. Aber nur ein klein wenig höher, auf etwa 20.000 ft, und ein stetiger, nicht mehr kompensierbarer körperlicher Abbau setzt ein.
Um diesen Zusammenhang zu verstehen, muss man allerdings medizinisches Wissen bemühen.
Das fängt schon damit an, dass die Mediziner nichts von den „modernen“ Druckeinheiten wie hPa wissen wollen. Sie sind hartnäckig bei der Quecksilbersäule geblieben, womit aus unseren bekannten 1013 hPa die sicher auch noch bekannten 760 mm Hg werden. Kurz gesagt, bei Normalbedingungen beträgt der Luftdruck auf Meeresniveau 760 mm Hg. Überlegen wir weiter. Sauerstoff hat ja nur einen Anteil von 21% an der Luft. Der Rest ist fast ausschließlich Stickstoff. Also wird der Sauerstoff wohl auch nur zu einem Teil zum Gesamtdruck beitragen. Aber wie viel? John Dalton hilft uns hier weiter. Schon 1805 hat er nachgewiesen, dass der Gesamtdruck eines Gasgemisches die Summe der Teildrücke ist. Sauerstoff hat somit einen Anteil von 21% am Gesamtdruck, macht in obigem Beispiel also 160 mm Hg. Dieser Sauerstoff muss nun in unsere Lungen, genauer, in die Lungenbläschen. Durch Vermischung mit der dort noch vorhandenen Luft sinkt der Partialdruck des Sauerstoffs auf 100 mm Hg.
Im nächsten Schritt muss nun dieser Sauerstoff in unser Blut gelangen. Das Zauberwort heißt Diffusion. Die Wände der Lungenbläschen stellen eine Membran zu den Blutgefäßen dar, die für Sauerstoff durchlässig ist. Nun herrscht in den Blutgefäßen ein Sauerstoffdruck von 40 mm Hg. So gesehen bewirkt also ein Druckunterschied von 60 mm Hg die Diffusion des Sauerstoffs von den Lungenbläschen in die Kapillaren des Blutkreislaufes.
Bisher haben wir die Situation betrachtet, die auf Meeresniveau herrscht. Steigen wir mal etwas höher, sagen wir mal auf 12.000 ft. Bekanntermaßen herrscht dort ein Druck von 650 hPa oder 490 mm Hg. Entsprechend ist in dieser Höhe der Sauerstoffpartialdruck 100 mm Hg und in den Lungenbläschen nur noch etwa 60 mm Hg. Jetzt beträgt die Differenz zu dem Druck in den Kapillaren nur noch 20 mm Hg. Man kann sich leicht vorstellen, dass die Diffusion des Sauerstoffs nicht mehr ganz so flott geht wie bei 60 mm Hg Unterschied. Steigen wir höher, auf 20.000 ft. Der Partialdruck des Sauerstoffs sinkt weiter und beträgt in den Lungenbläschen gerade noch 43 mm Hg. Und bei solch geringen Druckunterschieden kommt die Diffusion fast völlig zum erliegen. Nur durch extreme Hyperventilation kann das noch in etwa ausgeglichen werden. Der eingeatmete Sauerstoff hat schlicht und einfach kaum noch eine Chance im Blut anzukommen Die Folge – der Sauerstoffanteil im Körperkreislauf sinkt auf lebensbedrohliche Werte ab. Ab etwa dieser Höhe kann der Mensch nicht mehr auf Dauer leben, da auch durch Höhenanpassung der körperliche Abbau nicht zu kompensieren ist.
Wie kommt man aus diesem Dilemma heraus? Die Lösung ist bekannt. Man erhöht einfach den Anteil des Sauerstoffs an der Luft und damit seinen Partialdruck. Betrachten wir noch einmal die Situation in 20.000 ft, bei einem Sauerstoffanteil von nicht 21% sondern 50%. Damit steigt dann auch der Partialdruck in gleichem Maße und beträgt nicht nur 43 mm Hg sondern wiederum gesunde 100 mm Hg und eine normale Diffusion ist wieder gewährleistet. Die äußerste Grenze, die man mit der Erhöhung des Sauerstoffpartialdrucks erreichen kann, liegt bei etwa 35.000 ft oder 11.000 m, wobei in dieser Höhe reiner Sauerstoff geatmet werden muss.
Man mag jetzt einwenden, ein Reinhold Messner ist ja sogar ohne Sauerstoff auf Achttausender gestiegen. Richtig, aber hier waren genetische Disposition, langes Training und eine etwa sechswöchige Höhenakklimatisation die Voraussetzung. Eine schrittweise Anpassung der Atmung (nämlich durch massive Hyperventilation) ist bis etwa 7500 m möglich und auch unverzichtbar. Aber hier geht es um das nackte Überleben. So starben in manchen Jahren an den höchsten Achttausendern rund 25% der Gipfelbezwinger. In diesen Höhen bewegt man sich in einem schmalen und völlig unkalkulierbaren Grenzbereich zwischen Leben und Tod.
Wie erwähnt, bei Flugzeugen mit Ladermotor kann man ohne weiteres in diesen Bereich vorstoßen. Das tückische an der Geschichte ist, dass der Sauerstoffmangel (Hypoxie) oft nicht bemerkt wird. Im Gegenteil, die Symptome des Sauerstoffmangels können in Form einer Euphorie und Kritik- oder Sorglosigkeit auftreten. Ob das gut geht, in diesem Zustand ein Flugzeug zu steuern, da darf man wohl zumindest Zweifel anmelden.
Also nicht übermütig werden, wenn man einmal in den Genuss kommt, ein kräftig motorisiertes Flugzeug zu pilotieren.
Hermann Arend