Durchstarten

„D-EEBG, Wind 240 mit 10 kt, Piste 27 Landung frei“. Der Pilot ist kurz vor dem Aufsetzen, als eine C172, die am Rollhalt 27 steht, inRichtung Abflugpunkt los rollt…

Es muss ja nicht gleich so dick kommen. Ein verpatzter Anflug–zu hoch, zu schnell–kann genauso der Grund für ein Durchstartmanöver sein. Und sind wir mal ehrlich, wer von uns hat nicht schon mal die eine oder andere Landung vermurkst.Das ist nicht überraschend. Die Landung gehört immer noch zu den schwierigsten Abschnitten eines Fluges. Es wundert deshalb nicht, dass sich hier die meisten Unfälle ereignen. Zumeist endet das Ganze “nur” mit Sachschaden, wie einem verbogenen Propeller.
Fasst man rechtzeitig den Entschluss durchzustarten und führt dieses Verfahren auch korrekt aus, würde mancher Propeller noch dort sein, wo er hingehört–nämlich an der Flugzeugnase montiert–und nicht mit verbogenen Spitzen als“Trophäe“an der Wand hängen.
Nur, einmisslungenes Durchstartmanöver kann weitaus gravierendere Folgen fürFlugzeug wie Insassen haben als eine missglückte Landung. Man denke nur z.B. an Hindernisberührung wegen unzureichendem Höhengewinn oder Abkippen wegen Unterschreiten der Mindestgeschwindigkeit.

Wie sieht denn nun ein korrektes Durchstarten bzw. Go Around aus, bzw. was wird meist falsch gemacht?

Das Ziel des Durchstartverfahrens liegt offensichtlich darin, den Sinkflug zu stoppen und möglichst zügig in den Steigflug überzugehen.
Das bedingt, dass ich so schnell wie möglich alle verfügbare Leistung abrufe: alsoVollgas, Vergaservorwärmung kalt, bei Verstellpropeller höchste Drehzahl.Als nächstes gilt es, einen positiven Steigwinkel einzunehmen und stufenweise dieKlappen einzufahren.
Dabei zügig die Geschwindigkeit des besten Steigens vy, oder wenn Hindernisse zu überfliegen sind, des steilsten Steigens vx anvisieren. Damit hätten wir das Verfahren schulbuchmäßig durchgeführt. Und wer dabei auch nicht vergisst, das rechte Seitenruderpedal etwas unter Druck zusetzen, um die Kugel in der Mitte zu halten – also einen schiebenden Flugzustand zu vermeiden – darf sich besonders loben.

So einfach das Ganze klingt, so schwierig scheint es zu sein, sich eindeutig undrechtzeitig für ein Durchstarten zu entscheiden.

Sicherlich spielt die Tatsache eine Rolle, dass ein abgebrochener Landeanflug an der Ehre zwickt. Diese Blöße möchte man sich nicht geben, also versucht man den Flieger unbedingt irgendwie noch runter zu kriegen. Meist klappt das ja noch, auch wenn die Bremsen und Reifen qualmen und die Bahn mit schwarzen Strichen verziert ist.

Wenn aber die Landebahn dann tatsächlich zu kurz wird, hinterlässt man nicht nur auf dem Asphalt einen bleibenden Eindruck, sondern auch bei denZuschauern und der Bergungstruppe. Wesentlich weniger eindrucksvoll ist dagegen ein sauber durchgeführtes Durchstartmanöver. Hier zeigt sich wahre Professionalität und die wirklichen Fachleute in der Fliegerei wissen das mit einem anerkennenden Nicken zu würdigen.

Aber zurück zu dem Verfahren als solches. Gleich zu Beginn des Manövers wird – so erlebe ich es immer wieder bei Schul- bzw. Übungsflügen – schon der erste Fehler gemacht: Es wird zu zögerlich Leistung gesetzt oder kein Vollgas gegeben. Offensichtlich bewirkt ein Abweichen vom vertrauten Ablauf eine gewisse „Orientierungslosigkeit“. Verständlich, aber gefährlich! Hier hilft nur, während eines Anfluges immer in mentaler Bereitschaft zu sein, den  Anflug abzubrechen und das Durchstartverfahren einzuleiten. Ein Fluglehrerkollege hat einmal in einem Gespräch mit mir die Sache (mit der natürlich nicht ganz ernst gemeinten Aussage) auf den Punkt gebracht, dass “… einAnflug normalerweise mit einem Durchstartmanöver endet und nur, wenn widerErwarten Wundersamerweise alles passt, die Landung auch tatsächlich erfolgt“

Nächster Fehler: Es wird schlichtweg vergessen, die Klappen einzufahren – mit dem Ergebnis einer erbärmlichen Steigleistung. Also möglichst zügig die Klappen von der letzten Stufe, die ja überwiegend Widerstand produziert, eine Stufe zurückfahren, um sie schließlich bei positiver Steigrate ganz einzufahren.

Ein weiterer Fehler: Die Fahrt geht gefährlich zurück. Entweder durch zu starkes Ziehen (man will hoch) oder eine Aufbäumtendenz durch Leistungserhöhung beigesetzten Klappen. Besonders bei Hochdeckern wie unseren Cessnas ist dieser Effekt recht deutlich ausgeprägt. Also penibel auf die Fahrt achten!

Und schließlich der Fehler, den die meisten machen: Die Leistung wird nicht in Höhe, sondern in Fahrt umgesetzt. Begünstigend für diesen Fehler ist, dass manche Flugzeuge, z.B. die C152 / C172 beim Einfahren der Klappen zunehmend kopflastig werden. Da heißt es, auf die Lastigkeitsänderung vorbereitet zu sein und zu ziehen. Folglich auch hier den Fahrtmesser im Auge behalten – wie erwähnt, vy wäre keine schlechte Wahl. Wenn ich wirklich auf kürzeste Distanz den größten Höhengewinn erreichen will (oder muss), dann ist steilstes Steigens -vx- angesagt (55 kts bei der C152). Zusammengefasst also:

  • Rechtzeitige und entschlossene Entscheidung zum Durchstarten
  • sofort alle verfügbare Leistung setzen
  • zügig eine Klappenstellung zurückfahren
  • Steigfluglage einnehmen
  • danach Klappen stufenweise weiter einfahren
  • Geschwindigkeit für bestes oder steilstes Steigen einnehmen und halten

Nicht zuletzt durch die Landeunfälle der vergangenen Jahre sollte man sich die Ergebnisse gewaltsam erzwungener Landungen vor Augen führen. Und noch einmal, ich kann es nicht oft genug betonen – Nicht derjenige, der die Kiste mit Biegen und Brechen auf die Bahn knallt, ist ein toller Pilot. Nein, derjenige, der völlig unspektakulär und gelassen einen Go arround durchführt, der zeigt Souveränität und professionelles Verhalten.

Und daran sollten wir uns messen!
Hermann Arend


Badisch-Pfälzischer Flugsportverein e. V. Est. 1926